Eine psychologische Studie aus den 1960ern hilft uns, Nutzer im User Onboarding nicht zu verlieren, obwohl sie dort etwas tun müssen, was sie nicht so gerne tun: wie zum Beispiel das Angeben von sensiblen Daten oder einer Zahlungsmethode. Das dafür genutzte Prinzip nennt sich Commitment und Consistency (oder auch: die Fuß-in-der-Tür-Technik).

 

Wie bringe ich Leute dazu, ein relativ großes und hässliches Plakat mit der Aufschrift „Fahr‘ vorsichtig!“ in ihrem Garten aufzustellen?

Dieser Fragen gingen die zwei Psychologen Jonathan Freedman und Scott Fraser bereits in den 1960ern auf die Spur. Dazu schickten sie Freiwillige zu zwei Gruppen von Hausbesitzern (Gruppe A und B). Die Freiwilligen zeigten dann ein Foto, auf dem ein Haus mit dem hässlichen Schild davor zu sehen ist und fragten, ob der Hausbesitzer das Schild ebenfalls aufstellen möchte.

 

Von Gruppe A stellten nur 17 % das Schild auf, von Gruppe B aber ganze 76 %.

Wie brachten Freedmann und Fraser also Gruppe B dazu, das Schild aufzustellen obwohl beide Gruppen auf die selbe Art befragt wurden?

Der Unterschied der beiden* Gruppen lag darin, dass eine Gruppe zwei Wochen vorher schon einmal um einen kleinen Gefallen gebeten wurde. Und zwar fragten wieder Freiwillige vor Ort, ob die Hausbesitzer ein recht unauffälliges, kleines Schild zum Thema „Vorsichtig Fahren“ aufstellen würden bzw. eine Petition zum selben Thema unterzeichnen möchten.

Diejenigen, die also vorher dem kleinen Gefallen zugestimmt haben (sei es das Schild oder die Petition), stellten später zu 76 % auch das größere, unansehnliche Schild auf.

Aber warum?

Das Commitment und Consistency Prinzip

Die Lösung liegt im Commitment und Consistency Prinzip (oder auch: die Fuß-in-der-Tür-Technik genannt). Dieses Prinzip besagt, dass Leute gerne konsistent in ihrem Handeln sind. Wer also jemandem einen kleinen Gefallen erfüllt, der ist freundlich (bzw. setzt sich im obigen Fall für Vorsichtiges Fahren ein). Und weil man sich auch weiterhin so (konsistent) verhalten möchte, erfüllt man auch die zweite, größere Bitte.

„Jemanden um einen kleinen Gefallen zu bitten hat den Effekt eines Türöffners.“ (Maria Konnikova, Psychologin)

Das Treffen von Entscheidungen ist anstrengend für unser Gehirn. Daher bedient es sich gerne einiger Hilfsmittel, die die Entscheidungsfindung abkürzen. Daher treffen wir Entscheidungen gerne so, dass sie konsistent zu unserem Selbstbild sind (Consistency), ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Unser Selbstbild definiert sich durch vergangene Handlungen.

Wenn du zum Beispiel mit deinen Freunden immer die Spiele desselben Fußball-Vereins verfolgt hast, dann identifizierst du dich vielleicht als Fan dieses Vereins. Würdest du nun vor der Entscheidung stehen eine weiße Tasse oder die Tasse mit dem Logo des Vereins zu kaufen, dann müsstest du wahrscheinlich nicht lange überlegen. Dein Gehirn geht eine Abkürzung.

Wie können wir dieses Wissen für das User Onboarding eines digitalen Produkts nutzen?

Wir müssen im Onboarding also eine Konsistenz schaffen, damit der Nutzer gar nicht mehr lange überlegen muss, ob er eine bestimmte Aktion ausführt bzw. das Onboarding komplett durchläuft. Wie oben am Beispiel des Schild-Aufstellens gesehen, kann dazu ein vorher stattfindender kleiner Einsatz (Commitment) helfen.

Wenn ein Nutzer also im Laufe des Onboardings bereits ein kleines Commitment gibt, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass er später auch Angaben macht, die ihm vielleicht nicht so einfach fallen (wie die Herausgabe seiner Kreditkartennummer o.ä.).

Dr. Robert Cialdini schrieb dazu, dass wir Menschen ein fast obsessives Verlangen danach haben, konsistent mit dem zu sein, was wir bereits getan haben. Sobald wir einmal eine Entscheidung getroffen oder einen Standpunkt eingenommen haben, spüren wir Druck (von uns selbst als auch von anderen), uns auch weiterhin konsistent zu diesem „Commitment“ zu verhalten.

„Commitments“ im User Onboarding

Wir wissen jetzt, wie wir Konsistenz aufbauen. => Durch „Commitments“, also Entscheidungen, die der Nutzer trifft oder auch Standpunkte, die der Nutzer einnimmt.

Wie können solche Commitments aussehen?

  •  Versuche es mit einem kleinen Commitment
    • Die Frage nach einer kleinen, angemessenen Aktion wird leicht mit „ja“ beantwortet. Das macht es leichter, später nach etwas größerem zu fragen.
    • Ziel des ersten Commitments sollte es sein, klein genug zu sein, dass der Nutzer es auf jeden Fall gibt.
    • Beispiel: Lass‘ schon mal deine Email-Adresse hier, dann schicken wir dir einen Gutschein.
      Besser: Möchtest du einen Gutschein über 15 %? [Nutzer klickt auf „ja“]. Gut, dann brauchen wir nur noch deine Email-Adresse.
  •  Lass den Nutzer über seinen Standpunkt nachdenken
    • Wer ein Commitment abgibt, welches ihn dazu bringt, über sein Ziel oder Selbstbild nachzudenken, wird auch danach handeln.
    • Ziel des Commitments sollte es sein, das Selbstbild des Nutzers so zu formen, dass weitere Entscheidungen dazu konsistent sind.
    • Beispiel: Stelle dem Nutzer eine kleine Umfrage, in der er ein Statement abgeben muss, welches positiv auf dein Produkt abzielt.
  •  Mach‘ das Commitment öffentlich
    • Wer öffentlich etwas ankündigt, wird diese Ankündigung auf Grund des sozialen Drucks eher einhalten und auch zukünftig in diese Richtung beeinflusst.
    • Ziel sollte eine Aktion sein, die öffentlich wahrgenommen werden kann, und idealerweise andere Leute dazu bringt, den Nutzer zu bekräftigen.
    • Beispiel: Bringe Nutzer dazu, ein Foto in einer zu deinem Produkt passenden Situation auf einem sozialen Netzwerk hochzuladen. Das könnte Teil der To-Do-Liste des Onboarding Prozesses sein.
  •  Der Nutzer sollte sich schon vorher als Sieger sehen
    • Wenn möglich, sollte der Nutzer schon während des Onboardings daran denken, wie er in der Anwendung siegt / positiv belohnt wird.
    • Beispiel: Bei Online Auktionen kickt direkt nach dem ersten Mitbieten der Commitment und Consistency Effekt ein. Jetzt noch aufzuhören ist schwer, auch wenn das eigene Limit schon überschritten ist. Wir wollen siegen.
  •  Commitments sollten unabhängig vom Kontext des Nutzers sein
    • Egal, ob ein Nutzer dein Produkt im Moment des Installierens bzw. Anmeldens gerade nutzen kann oder möchte => das Commitment muss immer möglich sein.
    • Negativ-Beispiel: Stell‘ dir vor du installierst die Deutsche Bahn App und wirst aufgefordert, gleich deine nächste Reise anzugeben, damit sie dir zeigen können wie die App funktioniert. Vielleicht hast du aber gar keine Reise geplant und installierst nur, um herumzustöbern ob die Anwendung etwas für dich ist…

 

Hast du noch weitere Beispiele für das Fuß-in-der-Tür Prinzip? Schreib‘ deine Ideen in die Kommentare!

 

Referenzen

* Genau genommen waren es mehr als nur zwei Gruppen. A bekam nur die „Großes Schild“ Frage, B bekam vorher die Frage nach dem kleinen Schild mit „Drive Carefully“, C die Frage nach der Petition zu „Drive Carefully“ und D die Frage nach einem kleinen Schild mit „Keep California beautiful“. Interessanterweise hatte auch Gruppe D eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, das große Schild aufzustellen als Gruppe A.

  • Freedman J., Fraser S. (1966): Compliance without pressure: The foot-in-the-door technique (PDF), Journal of Personality and Social Psychology, 1966, Vol. 4 No. 2, 195-202
  • https://www.appcues.com/blog/consistency-principal
  • https://www.sciencefriday.com/articles/the-first-nigerian-prince-scam/
  • https://digitalpsychology.io/commitment-consistency/
  • https://www.svz.de/deutschland-welt/wirtschaft/und-sie-kriegen-dich-doch-id18343311.html

Bildquelle: by Alexander Rumpel on Unsplash